[7] Ergebnisse Erreichbarkeit
Social Media
Menschen mit Behinderungen werden durch herkömmliche Medien oft nicht erreicht oder sie fühlen sich nicht angesprochen. Andererseits kommunizieren viele MmB überproportional häufig mit digitalen Mitteln und nutzen das Internet für ihre Belange. Eine direkte Ansprache dieser Zielgruppen über ihre bevorzugten digitalen Medien bietet sich an, um sie so für die Partizipationsinitiative zu gewinnen. Im Rahmen von Partii haben wir dies erprobt und so die Testpersonen für unsere Website gewonnen.
Zielgruppenansprache
Unser Ausgangspunkt ist dabei wie folgt: Menschen mit Behinderungen bewegen sich im Internet – soweit es ihnen möglich ist – wie alle anderen auch. Sie informieren sich, kaufen ein, schauen Filme und tauschen sich mit anderen aus. Aber MmB nutzen Möglichkeiten des Internets auch behinderungsspezifisch: So betreiben Menschen mit Sehbehinderung/ Blindheit oder mit Autismus-Spektrum-Störungen häufig geschlossene Foren oder Mailinglisten, um sich untereinander rein schriftlich auszutauschen. Gebärdensprachnutzende hingegen bevorzugen Medien, die die Kommunikation per Video ermöglichen.
Neben dem Austausch untereinander und die Selbsthilfe tritt dann noch das politische Engagement sowie die Aufklärung anderer. Dafür werden alle Darstellungsmöglichkeiten genutzt, von eigenen Webseiten über Blogs bis hin zu den großen Social Media Plattformen.
Nutzung von Social Media Plattformen
Wegen ihrer großen Reichweite und weil sie die Möglichkeit bieten, Menschen mit Behinderungen direkt anzusprechen und für eine Beteiligung zu gewinnen, haben wir im Rahmen von Partii primär die drei Plattformen Facebook, Twitter und Instagram untersucht und genutzt. Unsere Linkliste (vgl.: „Lessons Learned“ – Informationen) führt darüber hinaus aber auch interessante Foren, Websites und Blogs auf.
Facebook – behindertenspezifisch
Bei Facebook steht auch für Menschen mit Behinderungen Networking im Vordergrund. Gemeinnützige Organisationen, Selbsthilfegruppen, Interessenvertretungen von Betroffenen und ihren Angehörigen, aber auch Betroffene selbst, berichten und diskutieren über vielfältige Themen, die sich auch, aber nicht ausschließlich mit ihrer Behinderung befassen. Persönliche Posts (Berichte), wie das Erleben alltäglicher Barrieren, aber auch Erfahrungsberichte zu unterschiedlichen technischen Devices, sind häufige Themen. Es finden sich aber auch personenungebundenen Seiten, die unter einem bestimmten Themenschwerpunkt „Freunde“ unter sich versammeln.
Auch auf die Zielgruppen zugeschnittene Hinweise zu Veranstaltungen oder zu Inhalten der Nachrichten und Medienseiten der öffentlich rechtlichen Senderfamilie sind zu finden. Die Veröffentlichungen können mit anderen Plattformen verlinkt werden, das ermöglicht nicht nur den Zugriff auf Artikel aus diversen Printmedien, sondern auch auf audiovisuelle Formate (Videos).
Gegenseitiger Austausch
Der Austausch innerhalb einer Gruppe von MmB, der lange Zeit in spezifischen Foren stattfand, verlagert sich mehr und mehr zu Facebook. Dabei geht ein gewisses Maß an Anonymität verloren. In den klassischen Internetforen bewegen sich Userinnen mit Pseudonymen und Symbolfotos, während bei Facebook zumeist echte Namen und Fotos der Personen, die einen Account bei Facebook unterhalten, eingestellt werden. Das bedeutet, dass sich die Kommunizierenden persönlich wahrnehmen.
Offenbar sind sich viele User, der sich daraus ergebenden Probleme, nicht bewusst. Daher bietet gerade der Austausch in privaten Gruppen, zu denen man erst nach Anfrage und Erlaubnis durch eine/n Moderator/in Zugang erhält, einen geschützten Raum für sensible Themen.
Es ist ein Austausch in beide Richtungen zu beobachten. Es gibt sowohl Nutzerinnen-Profile, bei denen der Informationsfluss ausschließlich einseitig vorgesehen ist (Interessenvertretungen), als auch solche, bei denen der gegenseitige Austausch beabsichtigt ist und auch betrieben wird.
Nutzungsverhalten – taub
Die Kommunikationsplattform wird von tauben Menschen vornehmlich benutzt, um sich grundsätzlich zu vernetzen und untereinander Informationen auszutauschen. Die Plattform bietet den Nutzerinnen durch die orts- und zeitunabhängige Verbindung zu anderen Gebärdensprachnutzenden einen erlebbaren Vorteil gegenüber der ihnen sonst im realen Alltag umgebenden Lebenswelt. Der Alltag von tauben Person ist sehr häufig von diskriminierenden Erfahrungen, die auch die Kontaktaufnahme zu den Mitmenschen betreffen, gekennzeichnet.
Typischerweise werden Taube besonders dort ausgeschlossen, wo Informationen ausschließlich per Lautsprache ausgetauscht werden. Das betrifft Gespräche in Kaufsituationen, öffentliche Mitteilungen und Lautsprecherdurchsagen (auf Bahnhöfen), wie auch persönlichen Unterhaltungen.
Facebook als Kommunikationsplattform bietet tauben Menschen die Möglichkeit, Inhalte in ihrer Muttersprache, der Gebärdensprache, per Video zu teilen.
Aufgrund von bildungspolitischen Entscheidungen haben viele Gehörlose eine geringere Schriftsprachkompetenz. Daher sollte der Aufruf zur Partizipation des BMBF unbedingt neben einer einfachen schriftlichen Ansprache eine Verdolmetschung in Gebärdensprache hinzugefügt werden. Die Gehörlosengemeinschaft pflegt ein reges Verbandsleben. Daher ist es zu empfehlen, für Projektankündigung wie „Fragen an die Wissenschaft“, die entsprechenden Facebook-Profile der Interessensvertretungen (auf Bundes- und Länderebene) zu nutzen.
Ein Aufruf über eines der führenden Printmedien der Community, die Deutsche Gehörlosenzeitung – DGZ, kann durchaus zielführend sein. Die gedruckten Ausgabe erreicht vornehmlich Personen, die weniger digital-affin sind. Mit dem Facebook-Auftritt der Zeitung wird daher ein aktiver Schulterschluss zwischen beiden Gruppen betrieben.
Auch eine Veröffentlichung über den Taubenschlag ist zu empfehlen. Lange Zeit als Forum betrieben, stellt ihr Internetportal nun ein vielseitiges Informationsangebot zur Verfügung, das von Mitgliedern der Gemeinschaft, Personen aus der Wissenschaft, diversen Selbstvertretungen und Verbänden sowie Privatpersonen belebt wird. Auch nach einem Wechsel der die Webseite betreuenden Person, genießt der Taubenschlag nach wie vor ein besonderes Vertrauen innerhalb der Gehörlosengemeinschaft und stellt somit ein „Tor zur Gemeinschaft“ dar. Den visuellen Bedürfnissen tauber Personen kommen Inhalte entgegen, die im Idealfall in Form von Videos mit Gebärdensprachverdolmetschung oder mindestens Untertiteln dargestellt sind.
Nutzungsverhalten – blind
Personen mit Sehbehinderung/Blindheit (PSB) hingegen benötigen als Darstellungsform Text oder Audio. Gepostete Inhalte sind entweder in reiner Textform dargestellt oder bei audiovisuellen Inhalten mit Audiodeskription versehen.
Das Nutzungsverhalten von blinden und seheingeschränkten Personen ist geprägt vom persönlichen Engagement der einzelnen Personen. Viele PSB erarbeiten sich privat Lösungen für ihren Alltag, entwickeln und tüfteln selbst. Die Ergebnisse werden anderen Nutzerinnen dann zur Verfügung gestellt. Generell ist diese Gruppe in der Open Source Community sehr aktiv.
Auf Facebook wird das vor allem an den geteilten Inhalten deutlich. Diese reichen von Erfahrungen und Empfehlungen bis hin zum privaten Vertrieb von eigens angefertigten Audio-CDs.
Persönliche Blogs sind sehr beliebt. Hier geben blinde und seheingeschränkte Personen Einblicke in ihre alltäglichen Herausforderungen. Diese Gruppe der Menschen mit Behinderungen profitiert mit Abstand am meisten von technischen Innovationen. Daher überraschen die vielen ausführlichen privaten Testungen unterschiedlicher Devices und Apps wenig. Oft werden die Techniktests auf persönlichen Websites veröffentlicht, Facebook wird dann zum Verlinken genutzt.
Es gibt aber auch eigene Accounts, die sich als Plattform verstehen und über relevante Themen für diese Personengruppe berichten. Die Strukturen der Selbsthilfe leben auch hier von der Vernetzung in (privaten) Gruppen.
Der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) ist eine Selbsthilfeorganisation mit speziellem Fokus auf Bildung und Arbeit für sehbeeinträchtigte Menschen. Auf der Facebook-Seite des Vereins werden regelmäßig Aufrufe veröffentlicht, in denen blinde Menschen als Probanden angesprochen werden.
Einen hohen Bekanntheitsgrad hat die Blindgängerin mit ihren Bewertungen zu Audiodeskriptionen. Auf ihrem Facebook-Profil informiert sie vornehmlich über Neuigkeiten aus der Film- und Kulturszene. Der persönliche Account von Mr. BlindLife hat eine vergleichsweise hohe Reichweite. Die Themenbereiche sind ausschließlich blindenspezifisch, vor allem technische Innovationen werden vorgestellt und bewertet. Meist verlinken die Inhalte auf einen persönlichen Youtube-Kanal. Auf dem ebenfalls persönlichen Account LizzisWelt wird durch den Themenschwerpunkt „Blindenführhund“ eine ganz andere Zielgruppe angesprochen. Die Reichweite ist vergleichbar mit Mr. BlindLife.
Nutzungsverhalten – PASS
Im Mittelpunkt der Facebook-Seiten, die von Personen mit Autismus-Spektrum-Störung (PASS) oder deren Angehörigen mit Inhalten versehen werden, steht die Aufklärung über die Krankheit und ihre vielfältige Ausprägung. Das wird an den Profilnamen wie „proAutismus“ oder „Autismus verstehen“ deutlich.
Auf vielen Seiten werden sehr persönliche Inhalte zu Alltagserfahrungen geteilt, um das Verständnis für die Einschränkung zu erhöhen. Was im Vergleich zu den anderen Behindertengruppen auffällt, sind die vielen Hinweise, wie mit PASS am besten umzugehen ist. Das verwundert wenig, macht sich diese Einschränkung doch vor allem (aber nicht nur) in der zwischenmenschlichen Interaktion bemerkbar. Beeindruckend ist im Vergleich zu anderen Behindertengruppen die Reichweite. Die Seiten einer Mutter haben zum Beispiel fast 12.000 Abonnenten. Blinde oder Taube kommen im Schnitt auf etwa 1.000.
Der Pro Autismus e.V. setzt sich seinem Namen folgend umfassend für die Erhöhung der Akzeptanz von Autismus ein. Neben der Berichterstattung von persönlichen Schicksalen finden sich auch Aufrufe an die PASS.
Der Auftritt von Asperger-Syndrom auf Facebook widmet sich der Aufklärung. Das geschieht vor allem durch Teilen anderer Medieninhalte (Zeitungsartikel, Videos, Links). Mit über 4.200 Abonnenten ist seine Reichweite enorm. Geteilte Inhalte geben neben persönlichen Erfahrungen auch Berichte aus der Wissenschaft und Forschung wieder.
Mit dem Magazin autismus verstehen ist auch ein Printmedium auf Facebook mit nennenswerten Followerzahlen vertreten. Ein erfolgreicher Kontakt des BMBFs mit den Organisatoren erreichte nicht nur die Leserschaft der Zeitung, sondern auch all diejenigen, die über ihren Facebook-Account entsprechend verlinkt sind.
Twitter – behindertenspezifisch
Das Kommunikationsmedium Twitter bietet (tages-) aktuellen Informationen eine Plattform. Die kurzen Tweets (Beiträge) werden in Echtzeit veröffentlicht. Die begrenzte Zeichenanzahl eines Tweets (160) sowie Kurzlebigkeit und manchmal auch Flüchtigkeit der Beiträge kennzeichnen dieses Medium. Twitter liefert daher deutlich weniger ausführliche Recherchen und Berichte, wie z.B. Erfahrungsberichte.
Auch auf dieser Plattform verbinden sich die Nutzenden miteinander, indem sie einander folgen. Im Gegensatz zu Facebook stellt Twitter Informationen darüber zur Verfügung, wem eine Person folgt und wer wiederum ihr folgt. In der Kommunikation zwischen Menschen mit Behinderungen bilden sich deutlich themenspezifische Netzwerke.
Bei der Nutzung von Twitter steht die Vernetzung kaum im Vordergrund, vielmehr das Generieren regelmäßiger und möglichst aufsehenerregender Tweets, um damit eine möglichst hohe Zahl von Followern zu erzeugen. Hier agieren eher Einzelaccounts denn Netzwerke. Daher empfiehlt es sich, für eine Kampagne einen eigenen Account anzulegen und diesen kontinuierlich mit Inhalten zu gestalten. Da das Angebot „Fragen an die Wissenschaft“ niedrigschwellig ist, generiert sich zügig ein Pool mit spannenden Fragen, die wiederum als Trigger auf die Plattform zurückgespielt werden können.
Twitter – schriftliches Medium
Diese Strategie bewirkt mittels der Darstellung von interessanten und außergewöhnlichen Fragestellungen den Anreiz weitere Fragen einzusammeln. Durch die Verwendung geeigneter Hashtags z.B.: #meeresspiegel sowie eine direkte Ansprache der Zielgruppe: „Welche Fragen haben Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen an die Wissenschaft?“ lässt sich Bezug zu den themenspezifischen Netzwerken herstellen. Bei der Vernetzung auf Twitter ist eine hohe Schriftsprachkompetenz ausschlaggebend. Das zeigt sich deutlich bei der Betrachtung der dargestellten Inhalte. Die meisten Tweets werden in reiner Textform verfasst, ab und an mit Bildern oder Videos verknüpft. Sehr selten werden reine Videoformate genutzt.
Gebärdensprachnutzenden wird so per se die Verwendung ihrer Muttersprache erschwert. Jeder Tweet der BMBF-Aktion sollte mit Videoverdolmetschungen versehen werden. Im Idealfall wird dies durch taube Dolmetschende übernommen, um die Akzeptanz in der Zielgruppe zu erhöhen. Die kategorische Verdolmetschung zeigt nicht nur Respekt gegenüber der Gebärdensprachgemeinschaft, sondern sie macht diese auch als Teil der Gesellschaft sichtbar(er).
Twitter – Bildbeschreibungen für Screenreader
In Tweets wird oft auf Bildsprache gesetzt, um einen Sachverhalt pointiert darzustellen. Diese Bildsprache ist blinden Nutzenden jedoch nicht zugänglich. Der Nachrichtendienst selbst bietet die Möglichkeit der Bildbeschreibung und Voice Over in den Apps für iOS (Apple) oder Android (Google) an. https://twitpicdescription.de/ bzw. https://w7t.de/ ermöglichen es, eingefügte Bilder mit Beschreibungen zu versehen. Die limitierten 140 Zeichen für einen Tweet, die Twitter anbietet, sind hier nicht gültig. Sehende erhalten keinen Einblick in den erklärenden Text, dieser wird vom Screenreader ausgelesen. Es erscheint lediglich ein Hinweis, dass zu dem Bild eine Beschreibung verfügbar ist. Eine ausführliche und treffende Bildunterschrift für alle verwendeten Fotos und Grafiken ist für Inklusion unabdingbar.
Empfehlenswerte Accounts sind der des blinden Aktivisten Heiko Kunert und der Nachrichtenkanal augenlichtlos. Viele Betroffene nutzen wie der Künstler Ralph Ruthe ihre Reichweite, um über das Leben mit Autismus aufzuklären.
Die große Mehrheit der ausschließlich textbasierten Tweets kommen den Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen entgegen. Tweets bieten genug Zeit für eine Antwort, ohne Ablenkung durch Grafiken oder Videos. In kurzen und prägnanten Statements wird auf typische Missverständnisse mit PASS aufmerksam gemacht und für Verständnis geworben.
Instagram – behindertenspezifisch
Instagram wird eher von jüngeren und auch prominenten Menschen und solchen, die prominent werden möchten, genutzt. Entgegen dem Networkingcharakter von Facebook und Twitter steht hier die persönliche Selbstdarstellung im Mittelpunkt.
Aufgrund der Betonung visueller Formate sind taube Personen schon seit langer Zeit auf dieser Plattform aktiv. Hervorzuheben ist hier der Account Hand Drauf, der umfassend über Themen aus der Gehörlosengemeinschaft berichtet.
Blinde hingegen haben verständlicherweise einen erschwerten Zugang, obgleich es immer wieder neue Features gibt, die die Benutzung erleichtern (wie automatisch erzeugte Alt-Texte). Dennoch bleibt es zumindest für vollblinde Menschen schwer, der Bildsprache rein per Text zu folgen.
Personen mit Autismus-Spektrum Störungen nutzen diese Plattform ebenso, wie Facebook oder Twitter vornehmlich für die Aufklärung. Der „Autismus Blog“ ist ein eindrückliches Beispiel dafür.
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